Wie jeder andere Chor hatte auch der Jugendchor Katar (QYC) seine Höhepunkte und Herausforderungen. Das vorausgeschickt, macht der QYC mit seinem Standort in Doha, Katar, einige wirklich einzigartige Erfahrungen. Seit seiner Gründung 2013 als erster aus einer Gemeinschaft entstandener Jugendchor in Katar genoss er sechs begeisternde Jahre lang mit Proben, internationalen Reisen, Zusammenarbeit mit anderen großartigen Chören, Preisen und Aufnahmen, ähnlich wie die Erfahrungen anderer Jugendchöre. Covid-19 hielt viele der grundlegenden Chorerfahrungen unserer jungen SängerInnen auf; jetzt, wo sich die Welt wieder öffnet und wir am normalen Leben wieder teilnehmen können, erfahren wir eine neue Wertschätzung, was das Chorsingen unserem Leben bringt und wie weit es reicht. Wir erinnern uns, dass Verschiedenheit und Zugehörigkeit zwei Eckpfeiler dessen sind, was ein Chor den Sängern des Katar Jugendchors und Singenden auch sonst überall bedeutet.
Katar hat heute 2,9 Millionen Einwohner. Davon sind nur 15% ursprüngliche Kataris. Wenn ich diese Zahl mit der meines Heimatlandes Irland vergleiche, wie verschieden würde Irland wohl sein, wenn nur 15% seiner Einwohner in Irland gebürtig wären? Wenn man aus Irland kommt, einem Land mit vergleichsweise wenig Unterschieden der Ethnizität, Religion und Kultur, erscheint Katar sofort und offensichtlich viel verschiedenartiger. Menschen aus Nepal, Pakistan, Sri Lanka und Bangladesch sind 50% der Bevölkerung, und etwa 250.000 Philippinos bilden einen weiteren beträchtlichen Teil davon. Das zeigt sich an der Zusammensetzung des Katar Jugendchors, da jetzt ungefähr 65-80% unserer Sänger aus Südost- und Südasien kommen.
Im Hinblick auf die Bevölkerung von Katar und wie das unseren Chor betrifft, ist es eine Herausforderung gewesen, die Sänger nach jedem Sommer zurückzuerhalten. Jedes Jahr enden viele Beschäftigungsverträge, und diese Angestellten – mit ihren Familien – sehen sich nach neuen Weidegründen um. Jedes Jahr kämpfen wir mit dem drohenden Weggang einer großen Kohorte und folgend mit der Notwendigkeit, neue Sänger zu finden, um sie zu ersetzen. Um das zu erläutern: im Frühjahr 2014 hatten wir 43 Sänger, dagegen waren es im September desselben Jahres dreizehn. Selbst wenn 2014 in dieser Beziehung besonders gravierend war, müssen wir doch mit 20% Wechsel in jedem Jahr rechnen. Daher kann man nicht von einem festen Repertoire ausgehen, das wir nur auszupacken brauchen, was aber in den meisten Chören normal ist – eine Herausforderung. Der Katar Jugendchor ist jedoch an Herausforderungen gewöhnt und strengt sich an, sie direkt anzugehen, was sich in unsere Bemühung um Diversität und Zugehörigkeit überträgt.
Eine besondere Aufgabe, der wir uns als Chor stellen mussten, und die mich zuerst verwirrte, war die Schwierigkeit, Araber in genügender Zahl zu verpflichten, darunter insbesondere originale Katarer. Obwohl wir einige arabische Sänger im Chor haben, sind sie doch schwieriger zu erreichen als Sänger aus anderen Kulturen. Das kann verschiedene Ursachen haben, zumal es im Mittleren Osten nur wenige Chöre gibt, was zu mangelnder Wertschätzung von Chorkunst führt. Singen ist auf jeden Fall weniger verbreitet in der Kultur der arabischen Golfstaaten, und als Musiklehrerin in der Schule treffe ich bei Kindern arabischer Herkunft auf Widerstreben zu singen, vor allem, weil sie in ihrem häuslichen Umfeld nicht zu singen pflegen. Wenn sie es aber einmal versuchen und feststellen, dass sie erfolgreich sein können, werden sie selbstverständlich offener für das Singen. Wir gingen das Problem, arabische Sänger zu gewinnen, dadurch an, das Repertoire an arabischen Gesängen zu erweitern und zu zeigen, dass wir sie authentisch aufführen können. Eine ständige Herausforderung ist es jedoch, unsere Aufführungen in mehr lokale Umgebungen zu bringen. Wenn wir das in der Vergangenheit taten, ernteten wir vermehrtes Interesse, aber solche Gelegenheiten sind seltener geworden. Indem wir weiter unser arabisches Repertoire und die Aufführungsorte erweitern, hoffen wir zu zeigen, dass ein Chor auch für arabische Sänger ein Ort der Zusammengehörigkeit ist.
Aus dem Blickwinkel einer Chorleiterin muss ich dafür sorgen, dass das Repertoire die multikulturelle Zusammensetzung unseres Chors berücksichtigt. Natürlich ist es wichtig, den Sängern die große westliche klassische Chormusik beizubringen, aber für die Zusammensetzung unseres Chors muss die Werkauswahl verschiedenartig und integrativ sein. Anders als die meisten anderen Chöre können wir keine geistliche Musik in Konzerten singen. Daher musste ich die Verlage nach gutem weltlichem Repertoire in verschiedenem Schwierigkeitsgrad abklappern; ich suchte nach Chormusik außerhalb der herkömmlichen kirchlichen Beziehung. Dabei haben wir ein breites Repertoire in bisher ungebräuchlichen Sprachen, Kulturen und Schreibweisen gefunden. Ausgehend von der spanischen, arabischen, deutschen, französischen, tschechischen, ungarischen, estnischen, lettischen, kroatischen, englischen, portugiesischen und mancher anderen Sprache ist wahrscheinlich Chinesisch die einzige wichtigere Sprache, die wir im Gesang noch beherrschen müssen! Als Chorleiterin in einer sehr unterschiedlichen Umgebung suche ich Chorstücke aus, zu denen jedes Mitglied des Chores eine Beziehung aufnehmen kann und die wir authentisch aufführen können. Ich lernte auch die harte aber nützliche Lektion, Repertoire zu suchen, das für die heutigen Singenden wesentlich ist. Sie wachsen als Weltbürger auf und sind sich globaler Probleme wie die zunehmende Anzahl von Flüchtlingskindern auf der Welt bewusst. Im letzten Jahr erarbeiteten wir ein schönes Programm zu diesem Thema und der Chor erfühlte diese Lieder und nahm sie mit intensiver Emotion auf. Mit dem Blick auf Wettbewerbe wäre ich für Empfehlungen gemischten Repertoires von Lesern dieses Artikels dankbar.
Der Chor sollte ein sicherer Ort sein, und es ist schwer, ihn als solchen zu schützen. Von Anfang an bemühte ich mich, dass sich alle in den Chor eingebunden fühlten, dass wir die Erfolge in ihrem eigenen Leben teilten; ich schuf eine gesellige Agenda von Anlässen, so dass sie sich besser verbunden fühlten. Ich erdachte normale Führungsrollen, so dass die älteren Mitglieder in ihren Verantwortlichkeiten wachsen können. Ich wurde sensibler gegenüber Aufgaben, die ein vielschichtiges Milieu mit sich bringt. Wir sind alle verschieden und haben verschiedene Wertesysteme, Ansprüche, Prioritäten und Arten, uns auszudrücken. All diese Faktoren schaffen ein Störungspotential für ein allgemeines Zusammengehörigkeitsgefühl. Glücklicherweise hatten wir nie negative Erfahrungen dieser Art, aber die Möglichkeit ist immer gegeben, und man muss sich dessen gewahr sein. Wir haben dieses Thema im Chor besprochen, wie jeder jeden Singenden am besten in dieser Hinsicht unterstützen kann. Wir müssen uns aber immer der Tatsache bewusst sein, dass das Aufsteigen zu einer Vertrauensperson eine gewaltige Aufgabe sein kann. Als Ergebnis haben wir einen Code des Wohlergehens eingeführt, indem wir einen Sänger und eine Sängerin als Alternative bestimmten, um für solche Singenden zu sprechen, die Schwierigkeiten haben, sich mit einem Erwachsenen über solche Themen zu unterhalten.
Das Erziehungssystem in Katar ist etwas anders als das, was viele von uns in der Jugend erlebten. Privatschulen sind häufiger als öffentliche, das Fördersystem für jeden einzelnen und wofür das Geld ausgegeben wird, ist jedoch nicht einheitlich. Das allerhäufigste Opfer der Unterfinanzierung ist die Musikabteilung, was bedeutet, dass viele Schüler in Katar wenig Neigung zum Musikunterricht entwickeln. Eltern dieser Schüler, die ihren Kindern eine Möglichkeit bieten wollen, Musik zu erlernen, denken, dass dies außerhalb des normalen Unterrichtsplans liegt. Die Stimme ist das billigste Instrument, ein einmaliger Kauf ohne Rückzahlung. Wie überall auf der Welt bietet ein Chor daher eine sehr erschwingliche Methode, für Kinder aus allen sozioökonomischen Gruppen Katars eine Musikerziehung zu bieten. Als Chor sind wir stolz auf unsere Möglichkeit, Kindern in Katar einen Musikunterricht zu verschaffen, und wir sehen eine reale Möglichkeit für Katar, unsere Arbeit zu unterstützen und eine nationale Musikschule zu errichten. Wir setzen uns aktiv dafür ein, die Musikszene in Katar für Singende aus allen Gesellschaftsschichten zugänglich zu machen. Für mich persönlich ist es einer der befriedigendsten Teile in der Geschichte des Chors und in meiner Arbeit als Chorleiterin, wenn Chormitglieder sich für Musik im weiterführenden Unterricht entscheiden, nachdem sie ihre persönlichen Kenntnisse durch den Chor erworben haben.
Jetzt, wo wir endlich wieder im Übungsraum zurück sind, fühle ich meine alte Energie zurückkehren, diese völlige Hingabe an den Chor taucht wieder auf. Die Vielfalt unserer Gemeinschaft hier in Katar mag besondere Herausforderungen stellen, aber sie ist auch der Grund dafür, unseren Chören soviel Belastbarkeit, Anpassungsfähigkeit und Mut zu verleihen, das Neue zu umarmen. Ich selber will nie wieder den Chor für selbstverständlich halten. Ich bin so dankbar für jeden Tag, in dem ich den Chor leite. In einer vor kurzem stattgefundenen Lesung der ChoralSpace Academy sagte der wunderbare Dr. Walt Whitman „Es gibt zwei großartige Tage im Leben eines Menschen, der Tag der Geburt und der Tag, in dem wir erkennen, warum“. Seit dem Tag, an dem ich beschloss, einen Chor zu leiten, habe ich nie zurückgeschaut.
Die irische Leiterin und Gründerin des Katar Jugendchors (2013) und des Katar Jugendchors (2015) Alena Payne ist auch stellvertretende Leiterin des Katar Konzertchors. Früher arbeitete sie als Leiterin der Musikabteilung am King’s College Doha. Zur Zeit leitet sie Chöre an der Swiss International School von Katar und ist eine MYP Musiklehrerin in der Katar-Stiftung. Sie ist Gründungsmitglied und erste Vorsitzende von Sing Qatar, der Chormusikvereinigung. Alena bietet Chor-Workshops an und ist erfahren in der Leitung von Chor-Festivals in großem Ausmaß wie das jährliche Katar-Chorfestival. Alena wird oft in die Jury von Chorwettbewerben berufen, national und international, zuletzt in den Internationalen Rovdo-Chorwettbewerb in Minsk, Belarus, wo sie auch über den „Zugang zu arabischer Chormusik“ sprach. info@qyj-choir.com — www.qyj-choir.com
Übersetzt aus dem Englischen von Klaus L Neumann, Deutschland
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