Interview von Debra Shearer-Dirié
Der Central Australian Aboriginal Women´s Choir (CAAWC) wurde seit seiner historischen und begeistert gefeierten Konzertreise in Deutschland Mitte 2015 eine musikalische „Tour de Force“. Dieses einzigartige zentralaustralische Ensemble singt geistliche Musik in den westlichen Sprachen Arrarnta und Pitjantjatjara des Northern Territory und South Australia, zusammen mit neuer Musik, die ihnen im jüngsten Zusammenarbeiten mit anderen mittelaustralischen und internationalen Chören vorgestellt wurde. Frauen aus abgelegenen Gemeinden Central Australiens kommen zusammen und präsentieren der Welt einen einzigartigen Klang. Morris Stewart (AM) ist der Gründer des CAAWC.
Was ist Ihr Hintergrund zum Thema Chorsingen?
Morris Stewart (MS): Ich fing im Alter von 17 Jahren an, in einem Kirchenchor zu singen, und im Laufe der Jahre habe ich eine Leidenschaft für Chöre und das Chorsingen entwickelt. Es war immer ein Hobby, nicht eine berufliche Ambition. Fast 30 Jahre vergingen und es war in den 1990ern, als ich einen Gemeindechor gründete und anfing, Musik für Chöre zu schreiben. Seitdem folgten Chorworkshops, mehr Gemeindechöre, Auftritte auf Festivals, das Desert Song Festival, der Central Australian Aboriginal Women´s Choir, eine australische Geschichte und die Dokumentation The Song Keepers.
Ich glaube es stimmt, wenn ich sage, ich habe eine gute Fähigkeit entwickelt, mit Chören zu arbeiten.
Wie hat sich der Central Australian Aboriginal Choir gebildet, und wie sind Sie dazu gekommen, sich für diese Gruppe zu engagieren?
MS: Im Winter 2006 gründete ich Asante Sana, einen Gemeindechor, der einen breiten Querschnitt der nicht-indigenen Gemeinschaft von Alice Springs umfasst. Ich habe diesem Chor ein Repertoire von neun afrikanischen Freiheitsliedern vorgestellt (d.h. Lieder, die Musik des Anti-Apartheit-Kampfes waren). Lehrer, Krankenschwestern, Gesundheitspersonal, Sozialarbeiter, Forscher, Verkäufer, Jugendarbeiter, Ärzte, einige Arbeitslose, Kinder, Jugendliche, Gastaustauschstudenten aus Afrika und Skandinavien, etablierte Einheimische und neue Einwohner, sie alle schlossen sich dem neuen Chor an. Das Echo war begeistert und der Chor trat mehrfach mit großem Erfolg auf. Dies erregte die Aufmerksamkeit einiger Chorsänger der Aborigines, die mich baten, „zu kommen und uns zu helfen, ein richtiger Chor zu werden“ und „uns die Lieder beizubringen, die Sie diesen Weißen beigebracht haben!“ Diese frühen Anfänge führten schließlich, gefolgt von sieben Jahren musikalischer Entwicklung „auf dem Land“ in abgelegenen Gemeinden, zur Gründung des heutigen Central Australian Aboriginal Women’s Choir. Angefangen mit einem Chor im Jahr 2006, gefolgt von mehreren Workshops zur Musikentwicklung, die über tausende von Kilometern in der gesamten Zentralwüste durchgeführt wurden, wurden sechs Chöre aus Titjikala, Ntaria (Hermannsburg), Utju (Areyonga), Mutitjulu, Kaltukatjara (Docker River) und Alice Springs zu dem einen CAAWC zusammengeführt.
Ich habe gelesen, dass die Sängerinnen in diesem Chor über weite Entfernungen anreisen, um zum Singen zusammenzukommen. Wie funktioniert das?
MS: Die abgelegenen Gemeinden sind über die ganze Zentralwüste verteilt. Da Alice Springs der zentrale Knotenpunkt für Workshops, Aufführungen und Ausgangspunkt für zwischenstaatliche und internationale Reisen ist, bedeutet die gesamte Hin- und Rückreise für die Chormitglieder, 3500km des Northern Territory zu durchqueren, oft über große Abschnitte unbefestigter Straßen. Reisen ist herausfordernd, zeitaufwändig und anstrengend. Und das, bevor die Probe beginnt! Deshalb treffen wir uns zusätzlich zu den Besuchen, die ich in entferntere Gemeinden unternehme, jedes Jahr zu drei bis vier Wochenend-Workshops. Dabei handelt es sich um ein umfangreiches und kostspieliges Unterfangen, das die Organisation verschiedener Transportmittel, die Buchung geeigneter Unterkünfte, die Verpflegung sowie das Decken sozialer und medizinischer Bedürfnisse umfasst.
Welches Repertoire singt diese Gruppe, und hat es sich im Laufe der Geschichte verändert?
MS: Das Repertoire des Chores stellt ein einzigartiges Kompendium dar, das musikalische Arrangements aus der frühen Romantik und dem Barock sowie deutsche geistliche Poesie (Hymnen) umfasst, die in den Sprachen der australischen First Nations aufbewahrt und präsentiert werden: eine unvergleichliche kulturelle Anthologie und ein australischer Nationalschatz, der von Frauen aus der abgelegenen Central Desert in den Gemeinden bewahrt wird. Ebenfalls enthalten sind geistliche Werke, die von den Frauen und ihren Vorfahren in den Sprachen West-Arrarnta und Pitjantjatjara verfasst wurden, einige davon im dreizeiligen Gesangsstil der westlichen Arrarnta und Pitjantjatjara-Zeremonie.
Der Chor hat auch mit klassischen indischen Musikern zusammengearbeitet, mit Ensembles, die in der westlichen Musiktradition ausgebildet sind, darunter das Arafura Music Collective, und zuletzt mit dem zeitgenössischen klassischen Trio Plexus aus Melbourne, um eine Premiere eines neuen Arrangements für Klavier, Violine, Klarinette und Chor von Bachs Choral „Wachet Auf“ zu präsentieren.
Der Chor hat kürzlich eine nationale Tournee abgeschlossen. Ist die Gruppe international gereist, und wenn ja, wo sind sie aufgetreten?
MS: Die CAAWC führt eine 120-jährige Tradition von Chören fort: gemischte Chöre, Männerchöre, Festivals und Eisteddfods. Tourneen waren in den 1950er und 1960er Jahren ein regelmäßiges Erlebnis. Dieser Chor begann seine Tournee 2013 mit einem Besuch in Adelaide. Seitdem tourte der Chor durch Deutschland (2015) und trat in Bayern, Wiesbaden, Hermannsburg in Niedersachsen, Stuttgart und beim alle zwei Jahre stattfindenden Deutschen Evangelischen Kirchentag auf. Im Juni 2018 folgte die zweite internationale Tournee, diesmal in die USA, zum Serenade International Choral Festival mit Auftritten unter anderem im Kennedy Center for the Performing Arts, Washington DC, der Phillips Collection, dem Castleton Festival, der Olsen Gallery in Washington DC und in New York City. Vor seiner Abfahrt in die USA trat der Chor noch in der Hamer Hall und im ausverkauften Sydney Opera House auf. Im Dezember 2022 begab sich der Chor auf eine Tournee durch drei große Hauptstädte mit Auftritten im Queensland Performing Art Centre (QOAC), in Brisbane, im Sydney Opera House (SOH), in der Melbourne Concert Hall – Hamer Hall, im Brunswick Ballroom und zum Abschluss ihrer Tour mit einem Auftritt bei Vision Australias jährlichem „Carols by Candlelight“, das landesweit aus dem Meyer Music Bowl, Melbourne, im Fernsehen übertragen wird:
Der Chor trat auch beim Darwin Festival, dem Denmark Festival of Voices und dem Hobart Festival of Voices auf. Zu den weiteren Höhepunkten zählt der Auftritt bei Closing of the Climb bei ULURU als Programmpunkt bei der Umbenennung von ABC, um den 90. Geburtstag des öffentlichen Senders zu feiern:
Der Chor wurde außerdem im Jahr 2018 in Anerkennung seiner herausragenden Leistungen mit einem NIMA (National Indigenous Music Award) ausgezeichnet.
Können Sie uns mehr über den Dokumentarfilm von Produzent Andrew Kay mit dem Titel „The Song Keepers“ erzählen?
MS: Der Dokumentarfilm wurde von Brindle Films, Alice Springs, produziert und beim Melbourne International Film Festival 2017 vorgestellt. Ich empfehle Ihnen, sich den Dokumentarfilm anzusehen, um alle Informationen, die Sie interessieren könnten, zu erhalten. (Ich beantworte gerne weitere Fragen zu dem Thema.) Andrew Kay ist ein führender australischer Promoter, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Chorreisen zu fördern und zu organisieren.
Ich bin fasziniert von der Musikauswahl, die die CAAWC singen, also verstorbene weiße Komponisten. Habe ich das richtig verstanden, dass sie diese Stücke aus dem klassischen westlichen Kanon in der Sprache ihrer First Nations singen?
MS: Die Kirchenmusik besteht, wie ich (glaube ich) bereits sagte, aus Hymnen, die ihren Vorfahren ab den späten 1880er Jahren beigebracht wurden (ein echter Kulturaustausch). Das Repertoire umfasst auch originale geistliche Lieder, die von aktuellen Chormitgliedern und Ältesten seit den 1920er Jahren geschrieben wurden. Alle Lieder werden in den Sprachen Western Arrarnta und Pitjantjatjara gesungen, beides lebende Sprachen Zentralaustraliens, die täglich als Muttersprachen in den Gemeinden gesprochen werden. Tatsächlich ist Pitjantjatjara die am häufigsten gesprochene Sprache der First Nations (von etwa 4.000 Menschen gesprochen). Daher meine Charakterisierung als einzigartiges Kompendium.
Und können Sie mehr über die Zusammenarbeit zwischen CAAWC und Arafura Music Collective und Plexus erklären? Was war das für eine Musik, und wie kam es zu der Zusammenarbeit? Haben sich die Gruppen getrennt vorbereitet und sind dann zusammengekommen?
MS: Der Frauenchor von Ntaria (Hermannsburg) singt etwas Bach. Sie singen oft Wachet Auf von J.S.Bach in der Western-Arrarnta-Sprache, das Stück, das sie mit Plexus, dem zeitgenössischen klassischen Trio aus Melbourne, zusammen erarbeitet haben und das eines unserer Zugpferde beim Desert Song Festival 2023 war. Sie probten während des Festivalzeitraumes mehrmals und führten das Stück im Rahmen des Konzerts des Soweto Gospel Choir auf. Es ist üblich, dass der CAAWC die ersten 25 Minuten des Soweto Gospel Choir-Konzerts einnimmt, wenn dieser beim Desert Song Festival in Alice Springs auftritt. Das hat sich seit dem ersten Besuch im Jahr 2011 … während ihrer 5 Tourneen 2011, 2014, 2016, 2019, 2023) in Australien so etabliert.
Der Ntaria –Chor singt Wachet Auf zum Gedenken an den Abschied des Missionars Carl Strehlow auf seine letzte Reise, als er versuchte, mit seiner Familie zur medizinischen Behandlung nach Adelaide zu reisen. Er schaffte es nicht nach Adelaide und starb in Horseshoe Bend in der Nähe von Finke NT. Der Choral wurde von der Ntaria Gemeinde bei seiner Abreise gesungen. Das Buch seines Sohnes, dem Anthropologen TGH Strehlow, „Journey to Horseshoe Bend“, erzählt von dieser Episode und ist ein umfangreiches und maßgebliches Werk über die Kultur des westlichen Arrarnta.
Ein kurzer Auszug zu Ihrer Information:
„Journey to Horseshoe Bend“ erzählt die Geschichte einer Reise, die Strehlow mit seiner Familie und Anderen im Oktober 1922 von ihrem Zuhause in Hermannsburg, 130 Kilometer südwestlich von Alice Springs, unternahm. Sie hatten gehofft, bis zum Endbahnof in Oodnadatta zu kommen und dann mit dem Zug nach Adelaide zu gelangen, wo Strehlows Vater, der an Wassersucht litt, medizinische Hilfe bekommen könnte. Horseshoe Bend sollte ein Zwischenstopp auf dem Weg sein. Die Route, die sie wählten – die kürzeste Route – führte nach Süden, entlang des ausgetrockneten Flussbetts des Finke River und durch die Britannia Sandhills. Die Hitze war grausam und die Reise unerbittlich; sein Vater litt sehr.
Die Geschichte wurde in Form einer Kantate umgesetzt: op.64, Symphonische Kantate für Solostimmen, Erzähler und Orchester von Andrew Schultz, und kam am 28. Mai 2003 im Sydney Opera House zur Aufführung, an der auch der Ntaria Ladies Choir teilnahm!
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Uhlig, Deutschland
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